Digital Logistics Days 2022 – Roboter erobern das Lager

Autonome Roboter und künstliche Intelligenz übernehmen inzwischen einen immer größeren Anteil an der Wertschöpfung in der Intralogistik. Online-Händler eröffnen moderne Verteilzentren, um mit dem immer stärker variierenden Bestellaufkommen umgehen zu können. Um die innerbetrieblichen Warenflüsse noch weiter zu optimieren, sind inzwischen immer öfter Systeme von Partnern digital verknüpft. Welche Technologien sind dabei „State of the Art“ und welches Warehouse passt zu welchem Geschäftsmodell? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Cloud, AI und Robotik im Lager und wie hilft das, den weiterhin steigenden Bedarf an Flexibilität abzubilden? Darüber diskutierten drei Experten am zweiten Tag unserer Digital Logistics Days 2022.

Panel-Diskussion zum Thema „Warehouse & Automation“

Dr. Nicole Schnittfeld, Leiterin des Kompetenz-Centers „Verarbeitung von morgen“ und Mitglied der Geschäftsleitung Operations bei der Schweizerischen Post, präsentierte zuerst die Entwicklung ihres Unternehmens. Im Paketbereich waren Wachstumsraten von 5-7% üblich, während der Pandemie gab es jedoch eine massive Beschleunigung, (+23% im Jahr 2020, +10% im Jahr 2021 ). Insbesondere die Sperrgutmengen sind während der Pandemie massiv angestiegen. Der Anteil der beschleunigt zu befördernden Next-Day-Lieferungen ist dabei gleichzeitig von 55% auf 65% angestiegen.

„Kein Unternehmen hält Produktionskapazitäten in einem solchen Ausmaß einfach vor.“

Dr. Nicole Schnittfeld

Die Briefmengen sinken jährlich um 3%, durch Zusammenarbeit mit dem Briefbereich könne man deshalb Synergieeffekte nutzen. Vier neue Paketzentren sind bis 2019 entstanden, um das Wachstum zu antizipieren, in den nächsten 14 Monaten sind darüber hinaus vier weitere Paketzentren geplant.
Flexible Lösungen können schnell Kapazitäten schaffen, beispielsweise AGV und flexible Sorter.
Man müsse die Höhe ausnutzen, um dadurch die Flächeneffizienz zu steigern.
Marco Rebohm, Geschäftsführer der Peek & Cloppenburg-Tochtergesellschaft Mode Logistik GmbH & Co KG berichtete, dass ehrgeizige Ziele seines Unternehmens durch die Pandemie übertroffen wurden. In Zusammenarbeit mit DHL wird ein neues Autostore-Lager in Staufenberg gebaut. Forecast-Systeme müssen angepasst werden.

„Forscherideen umzusetzen ist nicht die schlechteste Idee.“

„Wir sind als Institut um 20% gewachsen, wir beschäftigen etwa 750 Menschen und sind damit wohl das größte Logistik-Institut in Europa, vielleicht sogar weltweit,“ berichtete Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel, Geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund. Flexibilisierung sei wichtig, diese könne beispielsweise durch fahrerlose Transportsysteme (AGV), autonome mobile Robotersysteme oder Schwärme erreicht werden.
„Das ist keine Zukunftsmusik mehr, da wird wirklich jetzt an der Umsetzung gearbeitet, das ist jetzt aus dem Forschungsbereich raus.“ Künstliche Intelligenz helfe dabei, Räume besser zu nutzen.

„Forscherideen umzusetzen ist nicht die schlechteste Idee.“

Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel

Amazon investierte 42,7 Milliarden US-Dollar in Forschung und Entwicklung, davon 26 Milliarden US-Dollar für humanoide Roboter, Schwärme usw., um Technologieführer zu werden.
Dr. Nicole Schnittfeld sieht die Flächenverfügbarkeit als Hauptproblem für verkehrsintensive Logistiknutzungen: „Auf der grünen Wiese mit optimalem Schienenanschluss“ zu planen ist schwierig geworden. „Man muss Bestandsimmobilien nutzen, Synergien auf den bestehenden Flächen umsetzen, dafür braucht man den Einsatz neuer Technologien.“

Experimente und neue Technologien

Marco Rebohm berichtete anschließend von seinen Erfahrungen mit dem derzeitigen Hauptprojekt seines Unternehmens am Standort Bedburg: Wir verwenden derzeit viel traditionelle Technik, aber wir wollen experimentieren und neue Technologien einbringen. Digitalisierung kommt dabei oft zu kurz, beim Thema Augmented Reality ist aus seiner Sicht noch sehr viel möglich. „Ich lese die Fachbeiträge, [..] was es alles an Möglichkeiten gibt. […] Ich freue mich, dass vom Fraunhofer-Institut ein paar Impulse kommen.“
Die Integration von Transport- und Warehouse-Prozessen bleibt eine Herausforderung für die Logistik.

Die Grenze zwischen automatisierungsfähigen (“Nice to automate”) und automatisierungsbedürftigen (“Need to automate”) Prozessen sei schwierig zu benennen, man müsse einen gesunden Mix zwischen Service und Kosten erreichen, Bestandsimmobilien nutzen und dort neue Automatisierungstechnik einbauen.

Instandhaltungs- und Betriebskosten sind für Dr. Nicole Schnittfeld die entscheidende Kennzahl, wenn es um den Einsatz neuer Technologie geht. Experimentieren ja, man müsse das richtige Maß finden.

„Wann sehen wir die ersten völlig autonomen Warehouses?“ fragte Boris Felgendreher, der die Panel-Diskussion zusammen mit Dr. Martin Schwemmer moderierte.

Entwicklungen brauchen eine Dekade – Anfang der 2030er könnte es vollautonome Systeme in den Distributionszentren geben, schätzte Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel. Die technische Entwicklung im Bereich Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen sei exponentiell. Humanoide Roboter könnten bereits in zwei bis drei Jahren im Lager eingesetzt werden.

„Im nächsten Jahr werden wir das erste Distributionszentrum sehen, das vollständig mit Schwarmtechnologie im Bereich der Sortierung und Fördertechnik ausgestattet ist,“

Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel

Distributionszentrum mit Schwarmtechnologie sind inzwischen konkurrenzfähig, aber deutlich flexibler als vergleichbare Hochleistungssortierer. Neue Technologien sind notwendig, um Individualität sicherzustellen „Schwarmtechnologie ist kurz vor der Realisierung.“

„Die Logistik hat gute Chancen, zur führenden Instanz zu werden“

„Die Logistik sitzt auf Riesen-Datenpools, die zu wenig genutzt werden,“ meinte Marco Rebohm. Dadurch könnte die Logistik „einen tollen Service für andere Fachbereiche“ anbieten, um das Ansehen der Logistik im Unternehmen zu verbessern. Datenbrillen können beispielsweise zur Entwicklung von Heatmaps genutzt werden.

„Die Logistik hat gute Chancen, zur führenden Instanz zu werden, […] auch gerade in Bezug auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz wäre es an der Zeit, dass wir uns einen gewissen Führungsanspruch nehmen und dies mit der Entwicklung neuer Technologien verbinden.“

Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel

Anschließend präsentierte Prof. Dr. Dr. h. c. Michael ten Hompel das Projekt „Silicon Economy“ des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund, das folgende vier Bestandteile miteinander verbindet:

  1. Internet der Dinge (Sensorik)
  2. Austausch der Daten über souveräne Datenräume
  3. Supply-Chain-Regelkreise werden durch Smart Contracting geschlossen, hier kommt Künstliche Intelligenz zum Einsatz
  4. Bezahlung durch Blockchain-Technologien

Kein Unternehmen hat genügend Marktmacht, Motivation und Ressourcen, um die Silicon Economy alleine umzusetzen. Daher soll die Open Logistics Foundation, eine gemeinnützige Stiftung nach europäischem Recht, das Ökosystem schaffen, das anwendbare Software zur Beschleunigung und Optimierung entlang der Supply Chain entwickelt.

Nach dieser spannenden Podiums-Diskussion folgte der erste Keynote-Beitrag, der sich dem folgendem Thema widmete:

Aus dem Lager in die Transformation

Manuel Flubacher, verantwortlich für das Business Development Logistics Middle and Eastern Europe bei SAP, nannte fünf Auslöser für die beschleunigte Automatisierung der Intralogistik:

  1. Internet of Things
  2. Advanced Automation
  3. Data Science
  4. Networks
  5. Intelligente Logistik

Anschließend präsentierte Elmar Marchl, Abteilungsleiter Informatik und Organisation bei der Julius Blum GmbH den technischen Fortschritt seines Unternehmens. Die Julius Blum GmbH aus Höchst am Bodensee ist Weltmarktführer für Möbelbeschläge und erzielt mit acht Produktionsbetrieben in Österreich, je einem Produktionsbetrieb in Polen, Brasilien und den USA sowie 33 Tochtergesellschaften einen Jahresumsatz von 2,4 Milliarden Euro. Von den acht Werken in Österreich sind vier Grundfertigungswerke, zwei Montagewerke und zwei Versandstellen. Alle Werke sind mit Hochregallagern ausgestattet, Elektrohängebahnen und fahrerlose Transportsysteme übernehmen den innerbetrieblichen Transport. Die LKW für den werksübergreifenden Transport (Blum-Shuttle), werden vollautomatisch beladen und entladen. Vom nächstgelegenen Containerbahnhof aus übernehmen Züge die Belieferung der Seehäfen.

Das Planungs- und Steuerungssystem der Julius Blum GmbH besteht aus drei Ebenen:

  • Auf der Planungsebene wird SAP ECC als ERP-System verwendet
  • Das Produktionsleitsystem Blum MES und das Lagerleitsystem Blum LLS sind selbst entwickelt
  • Als Lagerverwaltungssystem wird die Software des jeweiligen Herstellers (Dematic, SSI, Swisslog) verwendet

Jede Tochtergesellschaft hat ihre eigenen Prozesse entwickelt, manche Tochtergesellschaften lassen sich leicht in das Standardsystem integrieren, bei anderen Tochtergesellschaften erfordert die Anpassung hingegen einen erheblichen Mehraufwand. Langfristig möchte die Julius Blum GmbH das selbst entwickelte Lagerleitsystem durch ein Standardsystem von SAP ersetzen. Seit 2018 arbeitet Julius Blum zusammen mit SALT Solutions an der Transformation. Das 2020 in Betrieb genommene neue Hochregallager in Mississauga (Kanada) umfasst 6000 Palettenplätze und zwei Kommissionierplätze. Das Lagerleitsystem SAP EWM als Bestandteil des ERP-Systems SAP S4/HANA läuft bei Azure Nordamerika als Cloud-Lösung, während SAP ECC in Höchst im eigenen Rechenzentrum (“on premise”) betrieben wird. Aufgrund der weiten Entfernung kommt es immer wieder zu Verzögerungen („Latenzzeiten“) zwischen den Systemen.

The Supply Chain Is No More

It’s time to say – the supply chain is no more

Mit diesem provokativen Satz begann der Vortrag von Akash Gupta, Gründer und CTO von GreyOrange, der bereits im BVL-Podcast #87 über AI-enabled smart robots in fulfillment and warehouse automation sprach.

We as a society and fulfillment industry are post-“supply chain.” Or post-chain, at least. The term simply is no longer valid today, and neither are the terms for the traditional links that made up the chain itself — warehouses, distribution centers, stores…

Viele denken immer noch an die grauen und orangen Roboter im Lager, wenn sie den Namen GreyOrange hören. GreyMatter™, das Betriebssystem von GreyOrange zur Auftragserfüllung, hat sich inzwischen in ein offenes System weiterentwickelt. Aufzüge, Drohnen und Pickroboter unterschiedlicher Hersteller kommunizieren dabei durch ein Standardprotokoll. Die System von GreyOrange sind derzeit vor allem in Nordamerika beliebt, in Europa gehört beispielsweise der dänische Möbelhändler Jysk zu den ersten Kunden von GreyOrange. Marcel Queng von GreyOrange und Oleksandr Nagirnyak, Head of Logistics Development and Controlling bei Jysk, präsentieren diese Technik in einem Webinar (Zugang für Abonnenten).

Künstliche Intelligenz automatisiert die Wissenschaft

Blue Yonder ist Premiumpartner der Digital Logistics Days 2022. Mit 5500 Mitarbeitern erzielte das Unternehmen, das seit 2021 zu Panasonic gehört, 1 Milliarde US-Dollar Umsatz. 75 der 100 größten Einzelhändler nutzen Software-Lösungen von Blue Yonder, berichtete Gabriel Werner im September 2020 während unserer ersten E-Mail-Konferenz Next-Level E-Commerce Logistics.

Prof. Dr. Michael Feindt, Gründer und strategischer Berater des Softwareunternehmens Blue Yonder sowie Gast in unserem Podcast #75: Künstliche Intelligenz in der Logistik, präsentierte in der dritten Keynote des zweiten Konferenztages die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz.

Datengetriebene KI-Entscheidungsfindung ist automatisierte Wissenschaft

Prof. Dr. Michael Feindt

Daten sind die Entscheidungsgrundlage für Künstliche Intelligenz, daraus werden Prognosen berechnet, diese werden entsprechend ihres Risikos durch eine Nutzenfunktion bewertet. Anschließend erfolgt eine Optimierung des Entscheidungsprozesses, und letztendlich die Selbstoptimierung des Systems durch Automatisierung. Unvorhersehbare Ereignisse, beispielsweise die Corona-Krise oder der Krieg in der Ukraine, können als sogenannter „Black Swan“ zu einem Strukturbruch des Prognosemodells führen.

Metaverse als Brücke zwischen realer und virtueller Welt

Zum Abschluss des zweiten Konferenztages präsentierte Michael Zawrel, Mixed Reality Solution Specialist bei Microsoft, seine Vision einer Verbindung von realer und virtueller Welt, die oft als Metaverse bezeichnet wird. Metaverse ist ein digitaler Raum, wo die digitalen Repräsentanten von Menschen, Orten und Gegenständen aufeinandertreffen. Avatare sind die Repräsentanten der teilnehmenden Menschen, Virtual Reality bildet die beteiligten Orte und Gegenstände ab, und Holoportation sorgt dafür, dass Bewegungen der teilnehmenden Menschen in Echtzeit in die virtuelle Welt übertragen werden. Dies alles soll mit einem PC, aber auch mit jedem anderen Endgerät möglich sein. Metaverse wird noch im ersten Halbjahr 2022 als zusätzliche Funktionalität von Microsoft Teams ausgeliefert. Accenture gehört zu den ersten Anwendern der neuen Software und hat alle seine Büros in New York bereits mit der neuen Technologie ausgestattet. Somit können neue Mitarbeiter virtuell eingearbeitet werden, anstatt mit dem Flugzeug nach New York zu fliegen.

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